Schließen Sie einmal kurz die Augen und lassen Sie sich einen Ring anstecken. Fühlen Sie sein Material, ertasten Sie seine Haptik, seine Form, erraten Sie die Farbe und prüfen Sie sein Gewicht. Wenn Ihnen dabei etwas komisch vorkommt, weil sich Ihr Finger eisig anfühlt, sie Wassertropfen an ihrer Hand spüren und erschrocken Ihre Augen öffnen, dann sehen sie den legendären Eisring von Susanne Sous. Eine frühe Arbeit von Sous, die für mich typischerweise die Besonderheit ihres erweiterten Schmuckbegriffes beinhaltet: Sous’ Kunst zielt nicht allein auf das Objekt, das sie als gelernte Goldschmiedin nach allen Regeln bearbeiten kann, sondern auf die Momente der Begegnung zwischen Mensch und Artefakt. Beim Beispiel des Eisringes ist diese Begegnung kurz, kalt und dennoch nachdrücklich. Sie erzählt von Vergänglichkeit ebenso wie von der Kraft der momentanen Inspiration. Ein Kältekick gegen die Routine des allzu Gewohnten.
Diese Kicks sind es die Sous immer wieder sucht, wenn sie ihr Material quetscht, bäckt, schweißt, verbiegt oder schlägt und das so behandelte Gold, Silber, oder Seife in neue Form bringt zum Mahle anrichtet oder in einer Mineraliensammlung versteckt. Eine Sandrose ist hier keine Sandrose, sondern eine Einladung zu einer Phantasiereise. Die Formgebung entspringt dem Mineral und landet in schmückender Eingebung.
Sous’ Arbeiten sind tragbare Inspirationen. Sie regen an, mit freudig geöffneten Augen durchs Leben zu gehen und fordern listig dazu auf, die Entdeckungen miteinander zu teilen. Denn nicht alles ist so wie es auf den ersten Blick erscheint: die Juwelen könnten aus Wachs sein oder gar nur in der Imagination entstehen, so wie ihre Serie ganz feiner, wie hingehauchter Querschnitte durch große Edelstein-Ringe. Ein Umriss nur, dafür aus purem Gold.
Begegnet man ihr in ihrem Atelier, öffnet sich nicht nur eine erweiterte Schmuckwelt, sondern ein Resonanzraum für ein erfüllteres Miteinander. Das ist vielleicht das Geheimnis hinter dem Sousschen Gedanken vom Schmuck: es geht nicht um das Ausstellen von Werthaltigem, das Protzen mit Klunkern, es geht darum, Begegnungen zu initiieren, die erst im Miteinander ihren Wert erhalten. Es ist nicht das Schmuckstück allein, erst zusammen mit der Trägerin oder dem Träger entsteht der Wert. Ein Lebenswert.
Die kreative Wechselbeziehung zwischen Mensch und Objekt erzählt auch ein Beispiel aus dem Arbeitsprozess von Susanne Sous: Eine Kundin berichtete davon wie ein voluminöser, weil hohlmontierter Ring sie vor der zufallenden Tür gerettet hatte. Der gequetschte Ring gab Zeugnis von der Gewalt des Ereignisses und bildete die Anregung für die Serie „Crash“. Hohlmontierte Objekte wurden erst ganz anarchisch zwischen Türrahmen gespannt oder vom Auto überfahren dann kontrollierter mit Holz und Schraubstock bearbeitet um deformiert zu ihrem eigentlichen Wesenskern zu gelangen.
Auch Susanne Sous scheint ihren Kern gefunden zu haben: Sie sei im Laufe der Zeit etwas braver geworden, aber glücklich mit wenig, glücklich zu machen.
Horst Konietzny, Regisseur, München