einladung

Crystal Metal

Zwei Welten – ein Raum

Die Goldschmiedin Susanne Sous zeigte im Oktober 2022 ihre Arbeiten in der Mineraliensammlung der TU Berlin.

Als Susanne Sous die „Mineralogische Schausammlung“ vor Jahren zum ersten Mal besuchte, war sie fasziniert vom Reichtum an Farben, Formen und Strukturen der Minerale, die man hier seit dem 19. Jahrhundert ausstellt. Es sind die Purheit und Klarheit der Strukturen, die Vielfalt der Schichtungen, der unendliche Formenreichtum natürlich gewachsener Objekte, die ihr Inspiration für die eigenen Arbeiten wurden. Hierher zurückzukehren, um ihren Schmuck inmitten von Pyriten, Kunziten und Sandrosen zu zeigen, war Sous eine große Freude und Ehre. Und so fanden sich jetzt Ring und Ohrschmuck neben Calcit, Armreif und Brosche bei den Turmalinen. Der Schmuck imitierte nicht die Natur, aber er korrespondierte mit ihr. 

Foto: Thekla Ehling, Köln

Dr. Susanne Herting-Agthe, Dr. Johannes Giebel (Kustos der mineralog. Schausammlung TU Berlin), Dr. Christian Agthe, Susanne Sous, Samuel Maßmann (Assistent), Nelle Brackeva (Praktikantin) v.l.n.r.

Eine zeitgenössische Naturgeschichte des Schmucks 

Susanne Sous Arbeiten zum Mineralreich

Als Adalbert Stifter 1852 seine Erzählungen „Bunte Steine“ abschloss, legte er im Vorwort dar, was ihn an den Steinen, die er zahlreich gesammelt hatte, so reize: Es gebe Steine, in die man mit dem Messer schneiden könne und aus denen man Täfelchen, Würfel, Ringe und Petschaften fertige. Dann seien da solche Steine, die so schön geheimnisvoll leuchteten und glänzten. Und schließlich legte er aus Steinen eine Sammlung an, um sie zu erforschen und von der er abschließend berichtet: „Weil es unermeßlich viele Steine gibt, so kann ich nicht voraussagen, wie groß diese Sammlung werden wird.“ Die von ihm genannten „Erddinge“ faszinierten Stifter damals wie uns heute, weil man mit ihnen arbeiten, sie ob ihrer Schönheit bestaunen und durch ihre Sammlung Wissen über die Geschichte und Zusammensetzung der Erde erlangen kann. Ein einzelner Stein kann uns gefallen, viele Steine aber regen dazu an, sie vergleichend miteinander in Beziehung zu setzen.

Wir kennen die Stiftersche Sammlung nicht, aber Mineraliensammlungen – wie man die Erddinge in Reihe seit dem 17. Jahrhundert nannte – hat es viele gegeben: Man hatte sich für die Vielfalt der Steine begeistert, ihre äußere Gestalt und innere Zusammensetzung bewundert und sie vor allem als eine Naturgeschichte des Erdreiches zusammengestellt. Dabei gab es Mineralien „mit und ohne Kunstwert“ und man stritt sich – wie in Berlin 1805 – darüber, ob die „geschnittenen Steine“ eher einer Kunstkammer oder einer Naturaliensammlung zuzuordnen seien. Doch es wurde bald klar, dass sowohl ihr praktischer Nutzen als auch ihre ästhetische Wirkung einem sorgfältigen, klassifikatorischen System unterzuordnen seien. „Bunte Steine“ und die um sie rankenden Geschichten traten zugunsten einer Vereindeutigung von Feldspat und Quarz, Opal und Cuprit, Malachit und Struvit in den Hintergrund. Sie wiesen charakteristische physikalisch-chemische Eigenschaften auf. Es war zu klären, ob es sich um Magmatite, um Sedimente oder um Metamorphite handelte. Minerale wurden seit dem 19. Jahrhundert vor allem bestimmt, zusammengestellt, geordnet, in Systeme gefügt und ihre Entstehung untersucht. Und Mineraliensammlungen werden auch heute noch geführt und genutzt. So wie die „Mineralogische Schausammlung“ am Institut für Angewandte Geowissenschaften der Technischen Universität Berlin. Sie diente seit dem 18. Jahrhundert der Unterrichtung junger Eleven der Bergakademie, im 19. Jahrhundert jungen Chemikern, Gewerbetreibenden und zukünftigen Ingenieuren wie auch heutigen Studierenden der Geowissenschaften zur Anschauung und zum Studium. Und noch immer wird dort gesammelt.

Sammlungen sind im besten Falle nicht abgeschlossen. Solange sie noch kustodisch betreut, gepflegt und auf den neuesten Stand gebracht werden, sind auch die vermeintlich unbelebten Steine in steter Bewegung. Solche Bewegungen können aus mikroskopischen Untersuchungen bestehen, um Materialforschung zu betreiben und neue Stoffe für bestimmte technische Entwicklungen zu gewinnen. Aktuelle Funde oder Ankäufe müssen eingeordnet werden und bringen so nicht selten eine neue Aufstellung des gesamten Teilgebiets mit sich. Oder der Unterricht verlangt das Zusammenstellen besonderer Stücke, die so gewählt werden, dass sie didaktisch notwendige Zusammenhänge erkennen lassen.

Und sie geraten einmal mehr in Bewegung, wenn ihnen etwas hinzugefügt wird, was einen zweiten Blick notwendig macht und was – ganz wie im 18. Jahrhundert – uns erneut die Augen öffnet für die Schönheit der einzelnen Stücke. Deshalb muss nicht allein der

„Kunstwert“ in den Vordergrund treten, als vielmehr der Umstand, dass uns die diffizile Form, die äußere Symmetrie oder die samtene Oberflächenbeschaffenheit deutlich wird. Dies gelingt der Goldschmiedin Susanne Sous. Indem sie ihre eigene Wahrnehmung der Minerale der wissenschaftlichen Präsentation hinzufügt, geraten unsere Betrachtungserwartungen – solche, die wir an eine Sammlung haben, als auch solche, die wir mit Schmuck in Verbindung  bringen – in Bewegung.

Als Susanne Sous vor einigen Jahren die „Mineralogische Schausammlung“ zum ersten Mal besuchte, war sie unmittelbar von der sich vor ihr ausbreitenden Vielfalt der Formen und komplexen Anordnungen fasziniert. Sie hatte sich zu diesem Zeitpunkt seit langem mit den Materialien ihres Handwerks, mit Gold und Silber, mit Legierungen und Edelsteinen, mit Glas und Perlen beschäftigt. Jetzt aber, in dieser Sammlung, wurde für sie deutlich, dass die Stifterschen Erddinge nicht einfach als Edelstein in das Collier oder in den Ring gefügt werden können, nicht nur geschliffen und zugerichtet zum Schmuckstück werden, sondern dass es ihr um eine Untersuchung der Minerale selbst gehen muss: Um eine Auseinandersetzung mit ihrem inneren Aufbau, ihrer Symmetrie, ihrer Konsistenz, ihrer vermeintlichen Unvergänglichkeit. Sie begann Minerale zu bauen.

Der Pyrit aus Silber sitzt einem Ring auf, der längliche Dorn des Kunzit bildet die Grundlage einer Anstecknadel und Sandrosen werden zu Anhängern. Dabei geht es ihr nicht um ein nachbildendes Verhältnis zwischen mineralischer Form und Schmuckstück. Vielmehr liegt dem Bearbeitungsvorgang von Gold und Silber auch eine Reflexion darüber zugrunde, wie schwer ein Stein ist, ob er aus Feuer entstanden oder durch Ablagerung gefügt wurde, ob er trotz seiner Wucht zahlreiche zarte Elemente besitzt oder komplexe Zeitschichten in ihm gespeichert sind. Kurz: Es wird nicht nachgebildet, sondern das Mineral in eine Naturgeschichte des Schmucks übersetzt.

Wer die Goldschmiede von Susanne Sous kennt, weiß, dass man hier nicht allein einen Ring oder eine Kette erwerben kann, man betritt nur zur Hälfte einen Ausstellungsraum, in der anderen Hälfte befindet sich die Werkstatt. Immer wieder finden sich dort kleine hölzerne Tabletts, auf denen die Entwicklungsstadien eines neuen Schmuckstücks liegen: Das Machen wird veranschaulicht. Nicht unbedingt für die Augen der Kundin, sondern vor allem für die Goldschmiedin selbst. Wie in einer Sammlung ordnet auch Sous ihre Arbeiten, fügt Reihen, legt vergleichende Tableaus aus und überlegt die bestmögliche Ergänzung, um zu entscheiden, wann eine Form „sitzt“. Das sprichwörtliche „sitzen“ ist dabei im eigentlichen Sinne zu verstehen: Ob sich der gebaute Pyrit für einen Ring oder ein Collier eignet, wird dann deutlich, wenn Material wie Form am Körper sitzen: am Finger, am Hals, an der Schulter. Erst an diesem Endpunkt des Schmucks, in seiner ausgestellten Form, wird aus der vorhergehenden Materialforschung sowie ihren ausgebreiteten einzelnen Elementen ein Schmuckstück.

Dass diese Schmuckstücke in der Mineralogischen Schausammlung zu sehen sind, besitzt einen doppelten Zauber: Sie lassen die Betrachterin neu auf die Minerale blicken und mit Stifterscher Langsamkeit kleinste Details entdecken. Und der Betrachter sieht inmitten der Einrichtung kleine Inseln auf denen kristalline Ketten und poröse Gürtelschnallen liegen, die sich harmonisch in die Sammlung einfügen und doch vollkommen aus ihr herausfallen.

Dieses Wechselspiel von Ähnlichkeit und Verfremdung regt dazu an, Schmuck und Mineral gleichermaßen zu betrachten wie in die Hand zu nehmen und zu untersuchen. Von beidem wissen wir heute nicht, wie „groß die Sammlungen noch werden“. Aber wir ahnen, dass uns hier eine überaus reizvolle, weil zeitgenössische Naturgeschichte des Schmucks präsentiert wird.

Prof. Dr. Anke te Heesen