Text: Anke te Heesen

Zunächst fallen die Unregelmäßigkeiten auf: Die kleinen Wülste, die sich nach vorn schieben; Dellen, die irreparabel erscheinen; Knicke in der glatten Fläche; Linien, die nicht senkrecht aufeinander treffen, sondern sich verzerrt aufeinander zubewegen: hier scheint nichts zu stimmen. Doch zugleich werden die Dellen, die Wülste und die Knicke gerahmt von der perfekten Linie des Kreises eines Rings, von der sauberen Kante der Gürtelschnalle und der ebenmäßigen Form des Manschettenknopfes. In der neuen Serie der Schmuckarbeiten von Susanne Sous geht es um gerahmte Unregelmäßigkeiten und folgen wir dem Titel der Serie, „CRUSH“, dann geht es um genau diese Spannung: die im kontrollierten Unfall produzierten Schäden und ihre Rahmung.

Gerahmt sind sie, weil sie in der Form eines Schmuckstückes auftreten, der Ring zu tragen ist, die Schnalle den Gürtel schließt und sie so ihrer intendierten Funktion nachkommen. Gleichzeitig scheint es dabei immer wieder zum Äußersten gekommen zu sein, wurde das Material Silber bis an seine Grenzen getrieben, Form, Gegenstand und Material einer beinahe unhaltbaren Belastung ausgesetzt. Doch kurz bevor das Material zum Klumpen verkommt, kurz bevor die Form den Druck nicht mehr halten kann und nicht mehr zu erkennen und zu benutzen ist, hört Sous auf zu zerren und zu pressen. Dies ist der Moment der größten Spannung, der in seiner ganzen Augenblicklichkeit deutlich wird: Vor uns liegen eine Reihe von silbernen, mal glänzend strahlenden, mal matt schimmernden Zerreißproben. Manche der silbernen Arbeiten sind farbig lackiert, doch auch der Lack vermag die Quetschungen nicht zu verdecken, die Schicht trägt vielmehr selbst Kratzer und Risse davon. Zusammen wirken die Objekte wie auf Dauer gestellte Unfälle, die niemandem schadeten, sondern die allein dazu gedacht waren, aus dem Unfall eine neue Form zu gewinnen und der geplanten Prellung mehr Wissen über das Material abzugewinnen.

Susanne Sous bleibt dabei ihrem Handwerk treu: Es war immer die Aufgabe des Goldschmiedes das Material zu erkunden und bis an die Grenzen zu treiben. Das Interessante dieser Serie besteht darin, dass die handwerkliche wie künstlerische Tugend mit dem Interesse für das Fehlerhafte, Zufällige und Nicht-Kontrollierbare zusammengebunden wird. Die Präzision des Handwerks, die ebenmäßige Schönheit des Schmuckgegenstandes auf der einen Seite und die zerstörte, gequetschte Form und die Unregelmäßigkeit auf der anderen – das sind die zwei Pole, die uns bis heute beschäftigen. Die präzise Technik birgt unter der glänzenden Oberfläche Unvorhergesehenheiten in sich, kann aus dem Ruder laufen und ist nicht zu beherrschen.

Dies mag einer der Gründe dafür sein, warum Sous’ Arbeiten mehr sind als Materialerkundungen, warum sie nach längerer Betrachtung einen überraschenden Surplus zeigen: An ihnen werden Zähmungsprozesse deutlich. Es handelt sich bei ihnen um kleine Schutzschilder. Man mag sie Amulette oder kleine moderne Reliquien nennen, sie sind Überbleibsel einer Handlung, die die das Schmuckstück tragende Person nicht mehr betrifft: Die Prellung wurde bereits in der Vergangenheit durch das feste Material aufgehalten, und wird dem Körper, den nun die Arbeit schmückt, nicht mehr schaden. Deshalb kann aus der Form ein Kraftspender werden, der gerahmt alle weiteren Zufälle und Unfälle, Makel und Fehler als schon geschehen betrachtet: Denn der große Zufall ist auf Dauer gestellt, in immer neuen Variationen. Indem wir ihn betrachten können, sind wir ihm nicht einfach ausgeliefert.